Autoexperte Dudenhöffer im Interview: Der "Dünger" für das Elektroauto muss von der Politik kommen


Carsharing (RUHRAUTO)

Im Rahmen unserer Interviewreihe „Macher der modernen Mobilität“ sprechen wir mit dem bekanntesten Experten in der Automobilindustrie, Prof. Dr. Ferdinand Dudenhöffer. Herr Dudenhöffer spricht über die Erkenntnisse aus dem eigens initiierten Elektro-Carsharing Projekt RUHRAUTOe, den Stand der Elektromobilität in Deutschland und die politischen Rahmenbedingungen als auch über die Transformation der deutschen Automobilindustrie im Zeitalter von Google & Co.

CARSHARING-EXPERTEN: Hallo Herr Prof. Dr. Dudenhöffer, vielen Dank dass Sie sich Zeit für das Interview genommen haben. Das Interview findet im Rahmen unserer Reihe „Macher der modernen Mobilität“ statt. Sie sind Initiator des Elektro-Carsharing Projektes RUHRAUTOe. Können Sie uns ein Update zum Projektstand nach über zwei Jahren geben. Sind Sie mit dem Projektverlauf zufrieden?

Prof. Dr. Dudenhöffer: Wir sind mit 20 Opel Ampera im November 2012, also in der besten Zeit für Elektroautos und Carsharing gestartet, und hatten die ersten Monaten nicht nur Schnee auf den Autos, sondern auch wenig Bewegung. Heute ist das alles Geschichte und unsere Studenten und Partner sind stolz auf das Erreichte. Mehr als 1.100 Nutzer, über 170.000 Kilometer bezahlte Fahrten, 46 Elektroautos im Einsatz, den einzigen Tesla S in einem Carsharing-System in Deutschland, und an 28 Stationen in allen großen Städten des Ruhrgebiets kann RUHRAUTOe genutzt werden. Davon hatten wir noch nicht mal gewagt zu träumen.

CARSHARING-EXPERTEN: Welche wesentlichen Erkenntnisse konnte man seit Bestehen des Projektes gewinnen? Können Sie einige Erkenntnisse mit uns teilen, die z.B. für die Städte, für die Politik und/oder für die Automobilindustrie von Bedeutung sind?

Prof. Dr. Dudenhöffer: Erstens: Carsharing braucht Zeit. Wir glauben nicht an den großen Erfolg über Nacht, sondern es ist eine längere Überzeugungszeit. Zweitens: Die Menschen müssen die Autos sehen. Deshalb stehen die RUHRAUTOe nicht in Parkhäusern oder Tiefgaragen, sondern an exponierten Stationen. Drittens: Sie brauchen Direktansprache. Unsere Studenten stehen in den Fußgängerzonen mit dem Renault Twizzy. Die beste Art, Neugierde zu erzeugen. Viertens: Gewinnen Sie prominente Unterstützer. Die Bundesminister Steinmeier, Gabriel, Schäuble, die Industriebosse Hiesinger, Engel, Müller, Neumann, Sympathieträger wie VBV-Trainer Klopp, die Oberbürgermeister der Ruhrmetropolen,… ja sogar der Bischoff hat sich mit unserem Projekt sympathisiert, etwa durch die Signierung eines besonderen Elektroautos. Wir könnten noch das ein oder andere sagen. Wer Interesse an der ganzen Story hat, ist uns willkommener Gesprächspartner

CARSHARING-EXPERTEN: Lassen Sie uns kurz über die Zukunft der individuellen Mobilität und die künftige Rolle der Automobilhersteller sprechen.

Der Sättigungsgrad beim Privatauto ist in West- und Mitteleuropa erreicht. Das Privatauto verliert nach und nach an Bedeutung und die Neuwagenkäufer werden immer älter. Das aktuelle Durchschnittsalter eines Neuwagenkäufers liegt bei 52,4 Jahren. Etwa 1/3 der Neuwagenkäufer sind sogar über 60 Jahre alt. Der durchschnittliche RUHRAUTOe Nutzer hingegen ist 30,8 Jahre alt.

Entwickeln die Automobilhersteller an der jungen Zielgruppe vorbei? Wie muss sich ein Automobilhersteller heute aufstellen, um in der Zukunft am Markt erfolgreich zu sein? Carsharing ist sicherlich ein Baustein künftiger Mobilitätsangebote, aber das kann sicherlich nicht alles sein.

Wie sehen Sie den Markt?

Prof. Dr. Dudenhöffer: Schauen Sie, den Markt gibt es nicht. Aber es gibt etwa Deutschland und China als Märkte. In China wurden letztes Jahr 16,3 Millionen Pkw verkauft. Um das Jahr 2030 werden es gut 35 Millionen sein. Also, da ist noch jede Menge Luft nach oben drin. Deutschland ist gesättigt. Jeder zweite hat sein Auto. Auf dem Land ist es wichtiger als etwa in Berlin. Deshalb geht in den Großstädten der Besitz zurück. Aber neue Formen der Nutzung wie Carsharing werden gleichzeitig interessanter. Ich denke, wir brauchen das Auto auch morgen. Weltweit deutlich mehr als heute. Bei uns müssen wir den jungen Menschen durch neue Formen der Nutzung den Spaß an der Sache geben.   

CARSHARING-EXPERTEN: RUHRAUTOe setzt auf Elektromobilität. Mit ca. 13.000 zugelassenen Elektroautos in Deutschland fristet das Thema noch ein Nischendasein. Können Carsharing-Konzepte der Akzeptanz dieser neuen Technologie helfen?

Prof. Dr. Dudenhöffer: Nach meiner Meinung ungemein. Wir haben deshalb RUHRAUTOe gestartet, weil wir mit einem Großexperiment vor drei Jahren bei uns an der Uni erkannt haben, dass die Menschen falsche Vorstellungen vom Elektroauto haben, die aber sehr verhärtet sind. „Enthärten“ können Sie nur durch Erfahrung. Wer bei dem Experiment das Elektroauto gefahren ist, hatte eine neue Einstellung. Dynamik, Leichtigkeit, leise Bewegung… das waren spannende Erfahrungen bei unserem Großexperiment von gut 250 Testteilnehmern, von denen jeder drei unterschiedliche Fahrzeuge jeweils 30 Minuten inklusive Autobahnstrecke gefahren hat und natürlich auch den Ladestecker in die Ladesäule gesteckt hat. Niemand kauft die Katze im Sack. Und Elektroautos sind teuer. Also müssen Sie die Katze aus dem Sack lassen. Das geht für die Menschen mit Null-Risiko mit Carsharing. Elektroauto fahren für 4,90 Euro die Stunde schafft die Einstellungsänderung.  

CARSHARING-EXPERTEN: Viele Experten machen die deutsche Politik für die Rückständigkeit der Bundesrepublik in Sachen Elektromobilität verantwortlich.  Was muss sich hierzulande ändern? In einem kleinen Land wie Norwegen gibt es mehr zugelassene Elektrofahrzeuge als in Deutschland. Sollten wir von Norwegen in der Hinsicht lernen (Steuerbefreiung, kostenlose Ladestationen etc.)?

Prof. Dr. Dudenhöffer: Eigentlich müsste nur eines passieren. Die Politiker, an der Spitze unsere Kanzlerin, sollte nur das sagen, was sie auch macht. Sie hat viel über eine Million Elektroautos geredet, die Unternehmen in hohe Investitionen mit den Versprechungen gelockt und dann kam eigentlich nichts. Plötzlich war Griechenland, die Nacht und Nebel-Aktion Energiewende, oder die Ukraine auf der Agenda und die Elektromobilität bei der Kanzlerin weniger als ein Mauerblümchen. Das ist das einzige Problem. Das Elektroauto hätte einen regulatorischen Rahmen gebraucht, den hat man in Berlin leider vergessen vor lauter Top-Agenda Themen.   

CARSHARING-EXPERTEN: Viele Automobilhersteller bzw. auch gleichzeitig Carsharing Anbieter beklagen die geringe Dichte an Ladestationen, die sie in ihrem Wachstum in Sachen Elektromobilität bremst. Tesla, Der Elektrowagenhersteller aus dem Silicon Valley, nimmt nun den Ausbau selbst in die Hand und möchte bis Ende 2014 eine Vollabdeckung mit Ladestationen hierzulande erreichen.

Ist das der richtige - vielleicht auch einzige Weg - das Henne-Ei-Problem zu überwinden? Muss die Industrie in Vorleistung gehen? Welche Rolle spielt hier die Politik?

Prof. Dr. Dudenhöffer: Tesla hat Mut, muss keine Rücksicht auf bestehende Antriebskonzepte und Fabrikanlagen nehmen und ist innovativ. Das sind die besten Voraussetzungen, um neue Technologie-Durchbrüche zu schaffen. Aber auch bei Tesla wachsen die Bäume nicht ohne Dünger in den Himmel. Der Dünger muss von der Politik kommen, wenn sie das Elektroauto wirklich will und nicht nur Wahlkampfreden schwingt.

CARSHARING-EXPERTEN: Deutschland gilt nach wie vor als Leitmarkt für die Automobilindustrie. Doch das moderne Auto wird immer mehr zum fahrenden Computer. IT Firmen – z.B. aus dem Silicon Valley - spielen eine immer wichtigere Rolle und könnten womöglich die alten Platzhirsche abhängen, da Sie das Spiel mit der modernen Informationstechnologie besser beherrschen. Ein Unternehmen wie Tesla hatte vor einigen Jahren niemand auf der Rechnung. Heute gilt Tesla als Paradebeispiel für ein Elektroauto. Google arbeitet mit Hochdruck an selbststeuernden Autos.

Muss die deutsche Automobilindustrie Konkurrenz aus dem Silicon Valley fürchten? Die IT gehört nicht unbedingt zu ihrem Kerngeschäft.

Prof. Dr. Dudenhöffer: Daimler und BMW etwa nehmen Tesla sehr ernst. Bei VW lebt man in der Welt der Verbrennungsmotoren. Ich denke, deshalb werden Daimler und BMW auch die Änderungen in unserer Gesellschaft und in ihren Bedürfnissen schneller erkennen. Und Agilität ist bei Veränderungsprozessen für Unternehmen ein wichtiger Zukunftspfeiler. Beide, Daimler und BMW sind übrigens auch im stationslosen Carsharing. Also man ist dort neugierig, versucht die Zukunft zu verstehen und testet Innovationen. Wer sich mit den Dingen auseinandersetzt findet seinen Weg. Also die beiden schaffen das IT-Zeitalter.

CARSHARING-EXPERTEN: Zum Abschluss möchten wir noch gerne wissen, welchen Stellenwert das Automobil für Sie persönlich hat?

Prof. Dr. Dudenhöffer: Es ist mein Beruf und ich liebe meinen Beruf.

Bidlquelle: Universität Duisburg-Essen

Produktinformation: 
RUHRAUTO / Carsharing
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RUHRAUTO bietet Carsharing Dienste auf Basis von Elektrofahrzeugen im Ruhrgebiet an. Das Projekt wird vom Bundesverkehrsministerium unterstützt und ist aktuell in 8 unterschiedlichen Städten im Ruhrgebiet verfügbar. Mitgliedern von RUHRAUTO stehen derzeit mehr als 40 Elektrofahrzeuge unterschiedlicher Größe (von Renault Twizy bis Tesla Model S) zur flexiblen Nutzung im zentralen Ruhrgebiet zur Verfügung.


In Kürze

Im Test: RUHRAUTO - Carsharing
Wertung der Redaktion von: Carsharing-Experten.de
Gesamtergebnis: 8 / 10